Freitag, 18. Juni 2010

Paul Krugman und Defizit-Falken in Deutschland

Paul Krugman befasst sich in seiner Freitagskolumne („That’ 30s Feeling“) in NYT weiter mit dem Thema „Fiscal Austerity“. Er bemerkt, dass plötzlich die Schaffung von Arbeitsplätzen out, Zufügung von Schmerz in ist. „Es ist jetzt überall eine neue Mode, das Defizit zu verurteilen und jede Unterstützung für die Wirtschaft trotz Widrigkeiten abzulehnen, einschliesslich USA, wo 52 Senatoren die Ausweitung der Arbeitslosenhilfe trotz der höchsten Langzeitarbeitslosenquote seit den 1930er Jahren zurückgewiesen haben“, schreibt Nobelpreisträger. Viele Wirtschaftswissenschaftler halten fiskalische Sparmassnahmen für einen grossen Fehler. Erinnerungen an 1937 werden wachgerufen, als FDR voreilig versucht hat, den Haushalt auszugleichen, was die sich erholende Wirtschaft in eine schwere Rezession stürzte, erklärt Krugman. In Deutschland sehen ein paar Gelehrte Parallelen zu der Politik unter Heinrich Brüning, dem Kanzler von 1930 bis 1932. Seine Hingabe zur finanziellen Orthodoxie führte zum Untergang der Weimarer Republik, hebt er hervor. Trotz Warnungen beherrschen die Defizit-Falken das Geschehen an den meisten Orten.

Welche ökonomische Logik steht hinter der „Fiscal Austerity“? Es gibt keine, betont Krugman weiter und berichtet aus seinen Gesprächen mit den deutschen Regierungsbeamten, warum sie Sparmassnahmen in einer angeschlagenen Wirtschaft ergreifen müssen. Die Argumente sind nicht überzeugend, bemerkt Krugman.

Eine typische Konversation spiele sich etwa so ab:

Deutscher Defizit-Falke: „Wir müssen Defizite sofort kürzen, weil wir mit der fiskalischen Last auf eine alternde Bevölkerung zu tun haben“.

Hässlicher Amerikaner: „Aber das macht keinen Sinn. Selbst wenn es Ihnen gelingt, 80 Mrd. Euro zu sparen, was Sie nicht schaffen werden, weil Defizitkürzungen der Wirtschaft schaden und Einnahmen verringern, wären die Zinszahlungen auf die Schulden weniger als ein Zehntel von einem Prozent des BIP. Die Sparmassnahmen, die Sie vorantreiben, bedroht die wirtschaftliche Erholung, während sie nichts tut, die langfristige Haushaltsposition zu verbessern“.

Deutscher Defizit-Falke: „Ich werde nicht versuchen, mit Arithmetik zu argumentieren. Sie müssen die Reaktionen des Markets berücksichtigen“.

Hässlicher Amerikaner: „Aber woher wissen Sie, wie der Markt reagiert? Und warum soll der Markt überhaupt durch eine Politik geführt werden, die kaum Einfluss auf die langfristige Finanzposition hat?“.

Deutscher Defizit-Falke: „Sie verstehen unsere Position nicht“.

Der zentrale Punkt ist, dass, während die Befürworter der „Fiscal Austerity“-Politik sich als nüchterne Realisten darstellen, sie ihre Haltung mit den tatsächlichen Zahlen nicht rechtfertigen können, weil die Zahlen ihre Position in der Tat nicht unterstüzen, auch wenn sie behaupten, dass die Märkte nach Strenge verlangen. Ganz im Gegenteil: Deutschland ist in der Lage, zu Tiefstzinsen Geld im Markt aufzunehmen. Was sind aber die realen Beweggründe für die Besessenheit mit der Fiscal Austerity? In Amerika sind viele selbsternannten Defizit-Falken schlicht und einfach Heuchler. In Deutschland scheinen die Defizit-Falken aufrichtig. Aber es hat mit Fiskal-Realismus nichts zu tun. Es geht um Moralisieren und sich in Pose stellen. Deutsche neigen dazu, das Defizit als moralisch verwerflich zu betrachten, während ein ausgeglichener Haushalt als tugendhaft gilt, unabhängig davon, wie die Umstände oder die wirtschaftliche Logik sind. Es wird aber einen Preis dafür geben, erklärt Krugman als Fazit. Wie schlimm wird es werden? Wie 1937? Er wisse es nicht, so Krugman, aber was er wisse, sei, dass die Wirtschaftspolitik in der ganzen Welt eine grosse, falsche Wendung genommen habe und die Chancen auf eine längere Flaute von Tag zu Tag steigen.

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