Mittwoch, 15. Dezember 2010

Ungleichheit als Ursache der Immobilien- und Finanzkrise?

Hat die Ungleichheit die jüngste Immobilien- und Finanzkrise verursacht? Mit dieser Frage befasst sich Edward L. Glaeser in einem interessanten Essay („Does Economic Inequality Cause Crises?“) in NYT. Seit Jahrzehnten gibt es in der Literatur Bemühungen, eine Verbindung zwischen der Ungleichheit und den negativen Folgen in der Wirtschaft herzustellen, wie z.B. geringem Wirtschaftswachstum, mangelndem sozialen Zusammenhalt, Mortalität und zuletzt Finanzkrisen, schreibt der an der Harvard University lehrende Wirtschaftsprofessor. Wenn das stimmt, würden diese Argumente noch mehr Gründe liefern, sich um Einkommensverteilung zu sorgen, hält Glaeser fest: „Wenn es nicht stimmt, sollten wir dennoch über Einkommensungleichheit besorgt sein, weil jeder in einer gerechten Gesellschaft einen anständigen Lebensstandard und die Chance auf Erfolg haben sollte“.


The Income “parade”, Graph: Prof. A. B. Atkinson, Nuffield College, Oxford and London School of Economics, „Inequality and Banking Crisis. A First Look

Empirisch ist es wahr, dass die Ungleichheit in den USA seit den 1970er Jahren gestiegen ist. In jeder Hinsicht gab es laut Prof. Glaeser 2005 in den USA mehr Ungleichheit als in irgendeinem Jahr seit den 1920er Jahren.

Joseph Stiglitz Theorie lautet, dass die wachsende Ungleichheit in den meisten Ländern der Welt bedeutet hat, dass das Geld von denjenigen, die es ausgeben würden, weggegangen ist, und zwar zu denjenigen, die so wohlhabend sind, dass sie es nicht einmal versuchen würden, es vollständig auszugeben. Dieses Phänomen nennt Prof. Stiglitz „flood of liquidity“, welche zu einem rücksichtslosen Leverage (Fremdkapitalaufnahme) und Risikobereitschaft beigetragen habe, was der Krise zugrunde lag.

Jean-Paul Fitoussi und Francesco Saraceno argumentieren ähnlich wie Stiglitz.

Eine verwandte Ansicht wird von Sir Anthony Atkinson und Salvatore Morelli vertreten: Angesichts der stagnierenden Realeinkommen nehmen Haushalte im unteren Teil der Einkommensverteilung Fremdkapital auf, um einen Anstieg des Lebensstandards aufrechtzuerhalten. Diese Kreditaufnahme hat sich später als unhaltbar erwiesen.

Raghuram Rajan, der ehem. Chefökonom des IWF vertritt die Meinung, dass die politische Reaktion (unabhängig davon, ob sorgfältig geplant oder als Weg des geringsten Widerstandes) auf die steigende Ungleichheit war, die Kreditvergabe an Haushalte zu erweitern, v.a. an Haushalte mit geringem Einkommen.

Joseph Gyourko, Christopher Mayer und Todd Sinai stützen ihre Hypothese auf den Immobilienmarkt ab, wonach ein anhaltendes Wachstum der Zahl der Familien mit hohem Einkommen in den USA grössere Unterschiede bei den Immobilienpreisen fördert. Je reicher die Reichen werden, desto mehr zahlen sie für bessere Häuser.

Keine dieser Hypothesen bietet eine eiserne Erklärung für den Boom-Bust-Zyklus, schlussfolgert Glaeser. Es ist weniger klar, dass die Ungleichheit hinter den politischen Massnahmen steckt. Die Massnahmen in Bezug auf den Häusermarkt wurden in den früheren 1970er Jahren ergriffen, bevor die Ungleichheit zu steigen begann, argumentiert Glaeser. Als George W. Bush die „Ownership Society“ anpries, war er von der Ungleichheit nie furchtbar geplagt. Seine Unterstützung für den Häusermarkt scheint wohl vom Wunsch motiviert zu sein, jedem zu einem hausbesitzenden Republikaner zu machen, legt Glaeser dar. Glaeser und Prof. Gyourko argumentieren in diesem Zusammenhang, dass es wenig Anzeichen dafür gibt, was die „flood of liquidity“-Hypothese unterstützen würde, was schliesslich zum Immobilienboom geführt hätte.

Prof. Atkinson macht geltend, dass die herrschenden Ansichten mit Hinblick auf die Verknüpfung von Ungleichheit und Finanzkrisen differenziert betrachtet werden müssen, weil der Anstieg der gesamten Ungleichheit vor 2007 in Sachen Verbrauch und Armutsquote nicht offensichtlich war. Und die Ungleichheit in Einkommen in den vorangegangenen 10 Jahren gemessen durch den Gini-Koeffizienten um weniger als 1% gestiegen sei. Einkommensungleichheit war im Jahr 2006 sicherlich hoch, aber sie war vor dem Crash nicht stark steigend, mit Ausnahme der Spitze der Wohlstands-Pyramide. Prof. Atkinsons Daten legen nahe, dass es wenig reguläre Verbindung zwischen Ungleichheit und Krisen gibt, betont Glaeser. In der Analyse von 25 Ländern in mehr als einem Jahrhundert hat Atkinson in 10 Fällen beobachtet, dass Krisen steigende Ungleichheit vorausgegangen ist. In 7 Fällen ging abnehmende Ungleichheit Krisen voraus. Es gibt kaum eine überwältigende Korrelation. Wenn Ungleichheit und Krise Hand in Hand gehen, dann ist es durchaus möglich, dass sie Spekulationsblase verursachen und nicht umgekehrt, fasst Prof. Glaeser zusammen. Er möge Ungleichheit auch nicht, aber es bedeute  nicht, dass Ungleichheit für jede schlechte Sache in den USA verantwortlich sei. „Um die Krise besser zu verstehen, müssen wir die Bereitschaft der Menschen verstehen, die bereit sind, absurde Beträge für Häuser in Las Vegas und Phoenix und Florida zu zahlen“, so Glaeser.

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