Freitag, 6. Juli 2012

Ökonomen-Aufruf und Polemik


Der anmassend artikulierte Aufruf der 160 Mainstream-Ökonomen in Deutschland, die jüngsten EU-Beschlüssen zur Lösung der Euro-Krise zu protestieren, erntet inzwischen viel Kritik und Kopfschütteln.

Paul De Grauwe ist entsetzt. Dieser Aufruf ist eine Schande, bemerkt der zur Zeit an der LSE in London lehrende Wirtschaftsprofessor in seinem Tweet: „Wie viele von ihnen hat gegen das Rettungspaket der deutschen Regierung für deutsche Banken protestiert“.

Peter Bofinger bezeichnet den Protest-Aufruf das schlimmste Stammtisch-Ökonomie. „Deutsche Ökonomen sind gut im Jammern. Das ist aber in der aktuellen Lage absolut kontraproduktiv“, legt der an der Uni Würzburg lehrende Wirtschaftsprofessor dar.

Da der latent nationalistisch geprägte Inhalt aus makroökonomischer Sicht  von Olaf Storbeck im Handelsblog angemessen widerlegt wurde, bedarf es keines weiteren, besonderen Kommentars. Storbeck hat zudem auch „die zwei Versionen des Aufrufs“ gegeneinander verglichen.

Es ist jedoch bemerkenswert, dass die deutschen Inflationsfalken wie Hans-Werner Sinn und Axel Weber, die heute die Vorschläge von Paul Krugman zur Lösung der Euro-Krise vehement ablehnen, zwischen 2000 und 2005 selbst dafür plädierten, etwas höhere Inflation in anderen EU-Ländern zuzulassen, damit Deutschland nicht in Deflation abrutscht.

Krugman legt nahe, zur Lösung der Euro-Krise mittelfristig eine moderate Inflation von 3 bis 4% zuzulassen, damit Südeuorpa keine kostspielige Deflation aufgebürdert wird. Sinn und Weber weisen Lösungsvorschläge à la Keynes vehement ab.

Dabei waren es Sinn und Weber, wie Mark Dittli im Blog Never Mind The Markets auf zwei Forschungsarbeiten verweist, die zwischen 2000 (Sinn: „The Minimum Inflation Rate For Euroland“) und 2005 (Weber: „Price Stability, Inflation Convergence and Diversity in EMU: Does One Size Fit All?“) selbst vorschlugen, dass einige Länder in Europa etwas höhere Inflation in Kauf nehmen müssten, damit Deutschland im Sog der geplatzten High-Tech-Spekulationsblase nicht in eine Deflation abrutsche.

Weber hält in dem Paper als Fazit fest, dass die Währungsbehörden wegen der zeitweise hohen Inflationsraten nicht allzu besorgt zu sein brauchen.

Sinn hält in dem Paper als Fazit fest, dass die EZB in etwa einen zusätzlichen Prozentpunkt der gesamten Inflation darüber hinaus tolerieren soll, was allein für Deutschland als angemessen gilt.

Richard Koo hatte vor rund drei Wochen die Problematik der Lücke der Wettbewerbsfähigkeit im Euro-Raum thematisiert und erklärt, dass es die EZB war, die nach dem Platzen der High-Tech-Blase 2000 eine aussergewöhnlich lockere Geldpolitik an den Tag legte, um die in das High-Tech-Desaster schwer involvierte deutsche Wirtschaft zu stützen, weil Deutschland eine expansive Fiskalpolitik ablehnte.

Die expansive Geldpolitik hat damals vor allem an der Peripherie der EU einen Boom ausgelöst, mit der Folge, dass die Länder sich hochverschuldeten, um immer mehr Importe aus Deutschland zu finanzieren. Südeuropa war damals laut Koo nicht in die IT-Bubble involviert. Der zu lockere geldpolitische Kurs der EZB hat aber an der EU-Peripherie die wirtschaftliche Expanison angeheizt und eine Immobilienblase gefüttert.

Die Löhne und die Preise sind in Südeuropa derart kräftig gestiegen, dass die Länder im Verhältnis zu Deutschland an Wettbewerbsfähigkeit verloren haben. Die Folge der Bilanz-Rezession ist ja heute, wie der Chefökonom von Nomura Research Institute schildert, allzu allgegenwärtig.

Fazit: Sinn und Weber haben vor rund 10 Jahren aufgefordert, eine höhere Inflation in anderen Ländern zuzulassen, damit Deutschland nicht in eine Deflation gerät. Heute stellen sie sich dagegen, eine höhere Inflation (und höhere Löhne) in Deutschland zuzulassen, wenn Ökonomen wie z.B. Heiner Flassbeck dafür plädieren, um zu verhindern, dass der Rest des Euro-Raum in eine Deflation abrutscht.

5 Kommentare:

Johannes hat gesagt…

In Ihrem Kommentar weisen Sie auf den Umstand, dass unter dem Bundesbankpräsidenten Axel Weber mehrere deutsche Banken gerettet werden mussten und dies für die Rettung der europäischen Banken nicht gelten soll.
Bei dieser Analyse haben Sie eines übersehen. Bei der Rettung der deutschen Banken lag die volle Souveränität bei dem deutschen Steuerzahler. Er hatte Einfluss darauf, wieviel von seinen Steuern als Rettungsmaßnahmen ausgegeben werden kann.
Bei der Rettung der europäischen Banken liegt das Risiko bei dem deutschen Steuerzahler, ohne dass er auch die Souveränität besitzt.
Erkennen Sie den kleinen Unterschied? Auch in den USA liegt das Risiko und die Souveränität in der Hand des Steuerzahlers.
Eine europäische Bankenrettung kann nur dann erfolgen, wenn die betroffenen Staaten ihre staatliche Souveränität aufgeben. Das ist dann der Preis, den diese Völker für ihre Politiker zahlen müssen. Wenn Sie nicht dazu bereit sind, müssen sie eben die Konsequenzen tragen. So etwas nennt man Verantwortung.

Anonym hat gesagt…

Inwieweit hatte der "deutsche Steuerzahler" bei der Rettung der HRE ein Mitspracherecht? Inwieweit hatte der "amerikanische Steuerzahler" Mitspracherecht bei der Rettung des Bankensystems in den USA? Das würde mich wirklich interessieren.

Anonym hat gesagt…

@Johannes

Mit ihrem Kommentar haben sie nur bewiesen, dass Sie die Krise überhaupt nicht verstanden haben. Es stimmt zwar, dass einige Länder über ihre Verhältnisse gelebt haben, aber Deutschland hat dafür unter seinen Verhältnissen gelebt. Beide Vorgänge bedingen einander, wenn im Durchschnitt der Währungungsunion alles in Ordnung ist. Es besteht auf beiden Seiten Anpassungsbedarf, was sich in der Umkehrung der Inflationsraten der letzten 10 Jahre auswirken muss. Zwischenzeitlich müssen Überbrückungsmaßnahmen ergriffen werden.

Grüße Robert

Johannes hat gesagt…

@Anonym
Der deutsche Steuerzahler kann um die Rettung der deutschen Banken finanzieren, die Steuern erhöhen. Kann er das auch bei den spanischen Banken. Es fehlt einfach das demokratische Mandat die spanischen Steuern zu erhöhen.
@Robert
Es geht mir nicht wer über seine wirtschaftlichen Verhältnisse lebte. Es geht nur um die Souveränität eines Staates.

Anonym hat gesagt…

@Johannes
Wenn dann Spanien aufgrund seiner Banken, welche gestützt werden müssen, seine Souveränität abgeben muss, dann gilt das gleiche für Deutschland. In diesem Link http://www.querschuesse.de/deutschland-das-niip-zeigt-die-strategie/ ist veranschaulicht, wie die deutschen Banken ihr Auslandsengagement an die Bundesbank übertragen haben.

Grüße Robert